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Die Kaffeetasse

Freiheit ist nicht beliebig denkbar. Als ich Anton Zeilinger in einem Gastvortrag an der LMU München hörte, behauptete er, dass ihm kein Philosoph die Frage hätte beantworten können, dass die Kaffeetasse in seinem Labor das Experiment beeinflussen könnte und diese Handlung, dann ja die physikalische Wahrheit beeinflusse.

Ich denke die Frage wurde von mehr als einem Philosophen bereits beantwortet, jedoch gefällt die Antwort dem Experimentalphysiker Zeilinger nicht. Es ist weniger eine Frage, wie die Antwort auf unsere Handlungsfreiheit lautet, sondern eher wie wir damit umgehen. Ähnlich dem Doppelspaltexperiment ist die Freiheit einerseits in unendliche Möglichkeiten als Freiheit wahrnehmbar, kann sich aber nur in einer Handlung vollenden.

So mag es den Experimentalphysiker verwirren, dass sein Handlung in Form des Messens das Experiment beeinflusst und würde er nicht messen, dann gäbe es den Einfluss nicht. Auf der anderen Seite, könnte er selbst das nicht tun, wenn nicht viele Handlungen in der Vergangenheit vorausgegangen wären. Die Freiheit etwas Neues zu entdecken, hat nur der, der das Alte kennt.

Selbstverständlich sind die Tatsachen des Physikalischen einerseits unbestritten andererseits aber nur auf einer zweitausendjährigen Handlungsabfolge denkbar. Es ist reine Spekulation, ob manches nicht hätte früher entdeckt werden können, wenn die Geschichtsläufe andere gewesen wären. Aber Zeilingers Kaffeetasse wird für Aristoteles zu einem undenkbaren Begriff, weil Kaffee kein Begriff gewesen wäre. Für das Wissen Kaffee muss ich weder wissen, dass der Begriff im 9. Jahrhundert entstanden ist, noch muss ich als Zuhörer das Problem verstehen. Wenn ich aber als Experimentalphysiker die Frage nach der Freiheit stelle, dann sollte einem wenigstens die Unfreiheit bewusst sein, die die Vergangenheit unabänderlich macht. Ohne diese Vergangenheit hiesse die Kaffeetasse nicht Kaffeetasse und wir hätten ohne diesem nicht einmal einen Begriff davon, was Zeilinger mit seiner Frage meinen könnte.

Aber vermutlich wäre Zeilinger nie Experimentalphysiker geworden, wenn er darüber zuviel nachgedacht hätte. Es ist wesentlich leichter die Begrifflichkeiten anzunehmen und auf diese Aufzubauen, als sie zu hinterfragen. Der Wissenserwerb im Vertrauen auf die festgelegten Begrifflichkeiten ist sicherlich angenehmer und einfacher.

Freiheit vollendet sich schon bei der Geburt dahingehend, dass zwar die theoretische Freiheit besteht eine der 4000 Sprachen der Menschheit zu wählen, aber tatsächlich die Muttersprache bestimmender ist für die Erstsprache eines Menschen. Damit Anton Zeilinger seine Frage überhaupt stellen kann, muss sich die gesamte Physik als Wissenschaft so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt hat. Er hat in diesem Moment soviel Begrifflichkeiten bereits akzeptiert und als wahr angenommen, dass er wahrscheinlich nie Experimentalphysiker geworden wäre, wenn er das nicht hätte.

„ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών· διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν.“ soll vom Vorsokratiker Anaximander stammen „Von den aber, die sagen, das Prinzip sei eines, bewegt und unbegrenzt, hat Anaximander, Sohn des Praxiades, aus Milet, Nachfolger und Schüler des Thales, behauptet, Prinzip und Element der seienden Dinge sei das Apeiron, wobei er als erster diese Bezeichnung des Prinzips eingeführt hat. Er behauptet, dieses sei weder Wasser noch ein anderes der sogenannten Elemente, sondern eine bestimmte andere, unbegrenzte Natur, aus der alle Himmel und die darin befindliche Ordnung entstünden. Das Vergehen der seienden Dinge erfolge in die Elemente, aus denen sie entstanden seien, gemäß der Notwendigkeit: Denn sie zahlten einander Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Ordnung der Zeit; so äußert er sich darüber in poetischeren Worten.“ und als die alten Griechen in der Renaissance nach Europa zurückkehren taucht Zeilingers Kaffeetasse mit den Worten auf „Wäre der Wille, vor zwei vollständig identische Alternativen gestellt, in der Lage, eine Alternative der anderen vorzuziehen?“ und wird auch als Buridans Esel bezeichnet. In der Informatik wird die Situation auch als Deadlock bezeichnet. Die Informatik hat übrigens drei Antworten zum Abstellen von Zeilingers Tasse. Das wären Abbruch, Warten auf ein veränderndes Ereignis oder Zurückgehen.

Nun ist es aber so, dass es zwei vollständig identische Alternativen gar nicht gibt. Zwei vollständig identische Alternativen würde bedingen, dass weder Zeit noch Ort verändert werden dürften. Alleine die Sonne bewegt sich mit circa 250 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße. Aber die Milchstraße als Galaxie entfernt sich von der nächsten lokalen Gruppe mit circa 60 km pro Sekunde. Jeder hat sich in einer Millisekunde mindestens 250 m von seinem Ort im Universum entfernt ohne irgendetwas getan zu haben. Wir könnten natürlich auch versuchen die Zeit anzuhalten, aber auch das wird uns nicht gelingen. All unsere Experimente sind dieser Bewegung unterworfen und wir können nur festhalten, was innerhalb dieser Bewegung gleich bleibt. Da scheint doch die menschliche Entscheidung, eine Kaffeetasse abzusetzen oder nicht, doch recht bedeutungslos.

Wir betrachten Wissen nur dann als Wissen, wenn es trotz dieser ständigen Änderungen, denen wir zwangsweise unterliegen, das Wissen sich nicht ändert. Genauso wie Buchstaben keine Buchstaben mehr wären, wenn sich die Regeln ihres Gebrauches sich sekündlich ändern würden. Die Begriffe wie Kaffeetasse bilden sich in der Zeit und überwinden dann die Zeit. In der Konstanz liegt letztlich das Verstehen und nicht in der Beliebigkeit. Unsere Freiheit ist nie beliebig, denn dann wäre auch Freiheit begriffslos.

Aber gerade das Wissen zeigt, dass damit nicht zu verstehen ist, dass etwas unveränderlich wäre. Überwunden wird das alte Wissen nicht dadurch, dass das Alte weggeworfen würde. Neues Wissen zeigt sich dadurch, dass das alte Wissen integriert wird. Die Freiheit etwas Neues zu entdecken, hat nur der, der das Alte kennt.