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Mobilität und Freiheit

Aufgrund der anonymen Kommentare unter https://publikum.net/5-euro-den-liter-fossil/ kommt nun ein weiterer Artikel hinzu. Dieser Artikel erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch kann er das Thema abschließend behandeln. Aber es gibt unbezweifelbar ein emotionales Bedürfnis nach Mobilität und es ist auch häufig mit der persönlichen Freiheit verbunden. Nur ist die Debatte vollkommen irrational.

Wenn wir 1870 als Ausgangspunkt nehmen, dann hatte damals niemand ein Auto. Das Bedürfnis sich durch Europa zu bewegen wurde noch mit Pferden gelöst wie zu Zeiten Goethes und waren die Menschen etwas Moderner dann auch durch die Dampflok und Eisenbahn. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen und kannte noch einen Landknecht, der zu dieser Zeit geboren war. Das Leben war nicht so hektisch und in die Landeshauptstadt ging man für wichtige Geschäfte auch mal vierzig Kilometer zu Fuß, wenn man arm war.  Was aber sicherlich damals anders war, die Arbeitskräfte wurden vor Ort gebraucht. Sei es zur Kartoffelernte oder die Wiesen zu mähen. Die Großbauern beschäftigten einige Knechte. Im Waschhaus wurde Wäsche gewaschen. Noch 1970 hatte die Nachbarin die Tochter jenes Landknechtes kein Telefon. Erst ihr Sohn hatte ein Auto ja mehr noch, er schaffte bei BMW. Das Landleben hatte sich also grundsätzlich verändert. Viele Nachfahren der ehemaligen Landknechte wurden Fabrikarbeiter. Das exemplarische Bild soll aufzeigen, dass es gut hundert Jahre dauerte bis sich die industrielle Revolution auch in den hintersten Winkel des Landes verbreitete. 1970 war ein Landknecht ein fossil aus vergangen Zeiten. Einer Zeit, die sich schon längst überholt hatte. Man lies ihn mit der Sense einen Berghang mähen, der sich maschinell nicht bearbeiten lies. Aber wirtschaftlich notwendig war er eigentlich schon lange nicht mehr.

Selbstverständlich war dies alles nur durch das Öl möglich. Aber zu dieser Zeit kommen Wissenschaftler auch zu der Erkenntnis, dass das Öl Probleme bereitet. Diese Erkenntnis hat sich bis heute 50 Jahre später immer noch nicht vollkommen durchgesetzt. Tatsächlich gefährden wir durch die Verbrennung der fossilen Treibstoffe unsere Lebensgrundlage. Das Öl jetzt aber wegzunehmen verbinden manche Menschen mit ihrer Freiheit und Mobilität. Und sei es, dass die Arbeitsstelle in der Fabrik gefährdet ist und der Weg dorthin zum Lebensunterhalt nicht mehr möglich wäre. Allerdings befinden wir uns wie vor der industriellen Revolution wieder in einem Umbruch. Der Fabrikarbeitsplatz wird wegfallen, weil der Robotor viele Tätigkeiten übernimmt. Die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten wären theoretisch auch von zu Hause aus machbar. Aber über 100 Jahre hat sich in Deutschland eine Präsenzkultur am Arbeitsplatz eingebürgert. Andere Lebensmodelle und Arbeitsweisen sind noch nicht weit verbreitet.

Hinzukommt die Menschen haben den Freiraum im eigenen Auto lieb gewonnen und alleine die SUV als Statussymbol zeigen quasi eine emotionale Abhängigkeit. Dass das fossilgetriebene Automobil gar keine Lösung für die realen Probleme ist, sondern mehr eine emotionale Abhängigkeit der neugewonnen Freiheiten durch die industrielle Revolution, ist den meisten Menschen gar nicht bewusst.

Rein rational lassen sich die Bedürfnisse nach Mobilität und Freiheit vollständig auch ohne fossile Verbrennungsmotoren erfüllen. Rational erfüllt ein Dacia Spring mit 230km Reichweite und einem Verkaufspreis mit Förderung von ca. 10930€ die gleichen Bedürfnisse. Es wäre also nicht einmal der Rückschritt notwendig 40 Kilometer in die Landeshauptstadt zu Fuss zu gehen, wie es Landknechte um 1900 durchaus noch taten. Aber selbst wenn jemand keine zehntausen Euro hätte, gibt es auch billigere Lösungen zur Mobilität. Elektroroller für 2000 Euro oder Kleinfahrzeuge für 4000 Euro. E-bikes ab 800 Euro aufwärts gäbe es auch noch allerdings nur mit einer Reichweite von 20km, was für manche Mobilitätsbedürfnisse sicherlich nicht ausreichend ist.  Und in den nächsten Jahren werden sicherlich auch noch die Preise neuer Mobilitätslösungen sinken. Sei es wie in Kelheim automatisch Busse ohne Fahrer, der auch einen öffentlichen Nahverkehr auf dem Land rentabel macht oder sei es einfach, dass ein Sono Sion für 5800 km im Jahr sich per Solarzellen selbst betankt. Da reden wir nicht von Zukunftstechnologie sondern von Technologie, die heute bereits verfügbar ist oder im Falle des Sono Sion vielleicht in einem Jahr.

Das Festhalten am fossilen Verbrennungsmotor ist ein Schritt in die Vergangenheit, so wie 1970 die Nachbarin noch kein Telefon hatte, weil sie mit dem neumodischen Zeug nichts anzufangen wusste und deren Sohn bei uns anrief, wenn er was von seiner Mutter wollte. Erst 1972 ließ sie sich von einem Telefon überzeugen, dass das doch eine nützliche Sache wäre. Genauso scheinen mir alle Menschen zu sein, die aus Angst vor Verlust der Freiheit mit aller Gewalt an fossilen Verbrennungsfahrzeugen festhalten. Sie fühlen sich in ihrer Freiheit bedroht und in Wirklichkeit sind es nur Menschen, die in der Vergangenheit feststecken und keine Lösung akzeptieren, die ihre alten Gewohnheiten durchbrechen.

Wäre nicht gleichzeitig sowohl wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und auch klimapolitisch, die Abkehr von Öl erforderlich, könnte man diese Ewiggestrigen ja einfach ignorieren. In 50 Jahren also 2070 hätten sie es vielleicht begriffen, nur diese Zeit haben wir einfach nicht mehr. Wir müssten jetzt die Transformation der Gesellschaft vornehmen.