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Wir und Wahrheit

Ich kann nur etwas diskutieren, wofür ich ein Argument habe. Sokrates hätte nicht mit Kepler-11f argumentieren können, da er keinerlei Begriff davon gehabt hätte, ebenso wäre es nicht kritisierbar gewesen, obwohl es Kepler-11f gegeben hat, vorausgesetzt, dass was wir heute als Kepler-11f existiert. Denn das was wir heute beobachten ist das Licht aus sokratischer Zeit. Wenn wir heute Kepler-11f indirekt beobachten und für wahr betrachten, dann betrachten wir nicht das heutige Phänomen, Kepler-11f könnte in die Sonne gestürzt sein, das würden wir aber erst in 2000 Jahren beobachten können, wenn das heute passieren würde. Ob Kepler-11f existiert oder nicht existiert können wir nicht feststellen. Die Aussage, daß wir Kepler-11f entdeckt haben, ist nur insofern wahr, daß wir einen Planeten entdeckt haben, der vor 2000 Jahren existierte und über den Sokrates hätte diskutieren können, ob er jetzt noch existiert, wissen wir in 2000 Jahren. Es passt aber nicht ganz in unsere heutigen Entscheidungen so zu denken. Würden wir so denken, wäre uns die Unwichtigkeit von Kepler-11f bewusst. Forschungsgelder für solche Projekte wären aber dann für die Wissenschaftler, die solcherlei Entdeckungen machen, schwierig zu gewinnen. Da Keppler-11f dem Prinzip gehorcht, daß Experimente, Messungen, Beobachtungen wiederholbar sein müssen, betrachten wir das dann als Wahrheit und Erkenntnis und obwohl wir auch wissen, dass Meteoriten Planeten zerschlagen können, gehen wir von einer Konstanz der Natur aus und sprechen von Kepler-11f so, als ob er existierte. Unter diesem Paradigma hat dann New York vor 2000 Jahren auch schon existiert und die Mayas sind nicht untergegangen.

Wir haben unsere Gegenwart und unser Handeln noch nicht einmal annähernd verstanden und sind in unserem Unverstand dabei uns selbst zu vernichten, wäre da nicht sinnvoller mehr Zeit in die Unterrichtung und Diskurs mit anderen Menschen zu stecken, als in die Entdeckung von Kepler-11f. Auf der Suche nach der Wahrheit landete Harald Lesch dann im Fernsehen und vielleicht ist das dann wirklich gut. Wahrheit ist keine Frage des Diskurses. Es gibt grundlegende Erkenntnis, die meines Erachtens nicht hintergehbar sind. „Wir sind.“ könnte ich nur dann bestreiten, wenn ich ein Solipzist der übelsten Sorte wäre, der noch nicht mal seine Spaltung in Ich und Nichtich in seiner eigenen Sprache anerkennen dürfte. Mit Vernunft hätte so ein solipzistischer Standpunkt nichts mehr zu tun.

Ich hatte ja schon mehrmals geschrieben, dass alle Aussagen zunächst einmal wahr sein müssen, damit sie falsch sein können.  Kepler-11f ist in diesem Sinne wahr. Es ist hierin allerdings genauso wahr wie ein rosarotes Einhorn. Was wir unter Wahrheit dann verstehen ist das Urteil über unsere Aussagen. Jetzt in dieser Sekunde kann ich weder das rosarote Einhorn beweisen noch Kepler-11f. Dennoch habe ich ein anderes Urteil über Kepler-11f, da dessen Messbarkeit seine Existenz vor 2000 Jahren vermuten lässt. Das rosarote Einhorn kann ich auch als politisches Symbol betrachten für ein bisschen mehr Flausch. Würde ich das rosarote Einhorn aber als physikalisch messbares Objekt betrachten existiert es nicht. Spannend dabei ist aber auch, ob Kepler-11f jetzt existiert, kann genauso wenig irgendjemand beweisen.

Das Higgsboson hat dann mehr Wahrheit als Kepler-11f, aber wenn wir ehrlich sind, wer stellt sich schon ein CERN in den Vorgarten um das Experiment nachzuvollziehen. 99,9% der Menschheit sind da auf die Priester der Physik angewiesen um die Wahrheit des Higgsboson zu glauben oder nicht zu glauben. Alan Sokal macht sich über die Philosophen lustig, weil er an seine messbaren Objekte glaubt. Er ist sich gar nicht bewusst, wieviel Glauben in seinem Denken steckt. Für Ihn gibt es wahr und falsch in einer Selbstverständlichkeit, die so gar nicht existiert. Er meint sprechen zu können und selbstverständlich ist es möglich zu lügen. Sokal führt uns quasi vor Augen, wie sehr wir den Boden unter den Füßen verloren haben. Also klammern wir uns an das Messbare wie Keppler-11f ohne dabei überhaupt noch zu wissen, was wir da aus welchem Grund heraus treiben. Wir messen damit nicht die Existenz von Keppler-11f jetzt hier und heute.  „Zum Kontakt mit dem Gegenstand hat Popper keine spezifischen Uberlegungen. Experimente, Messungen, Beobachtungen müssen wiederholbar sein.“ sagt Harald R. Wohlrapp in seiner Habilitationsschrift. Somit scheint es, als ob ein wahres Urteil nur dann wahr sein könnte, wenn es messbar ist. Hierbei bleibt aber vollkommen unberücksichtigt, dass nur dann etwas messbar ist, wenn ich vorher schon eine Bedeutung habe. Ein hypothetisches Medium für die Ausbreitung des Lichts im Vakuum genannt Äther kann ich nicht messen. Wobei dann schon die spannende Frage wäre, was meine ich eigentlich mit Medium und was genau soll ein Vakuum sein. Es ist ja nicht so, dass sich der Materiebegriff in den letzten hundert Jahren nicht verändert hätte. Wenn Vakuum nämlich definiert ist als Abwesenheit von Materie in einem Raum und Medium als eben jene Materie, dann ist die Definition Äther schon in sich ein logischer Widerspruch. Die Herstellung des Vakuums verlangt ja dann, dass keine Materie anwesend ist und nachdem das gelungen ist, wollte ich dann Materie darin messen. Gelingt mir das, dass ich Materie darin messe, dann ist ja noch kein Vakuum. Wenn nun Licht ein Teilchen wäre, dann wäre es auch Materie und wenn ich Licht im Vakuum dann messe, dann wäre es kein vollkommenes Vakuum, weil ja immer noch ein Teilchen vorhanden wäre. Folglich müsste ich dann sagen, im vollkommenen Vakuum kann sich kein Licht ausbreiten, weil es dann kein Vakuum mehr wäre.  Ein Physiker könnte aber so nicht arbeiten. Er hatte eine ganz andere Vorstellung davon, was er suchte, als er den Äther suchte.  Für den Physiker hat das, was er misst Bedeutung und wenn es keine Bedeutung für ihn hat, dann kann er es auch nicht suchen. Seine Erkenntnisse sind auf das positiv Sagbare beschränkt und deswegen lautet die Schlagzeile dann auch das Keppler-11f entdeckt ist, obwohl es richtiger wäre zu sagen, Sokrates hätte über Kepler-11f diskutieren können, wenn er denn gewusst hätte, dass es den Planeten gibt, über den heutigen Zustand des Planeten können wir leider nichts sagen. Was wir aber sagen können ist: „Wir sind jene Wesen die Keppler-11f gemessen haben.“

Jede Aussage ist wahr.
„Falsch“ ist lediglich ein Urteil über Aussagen.
Mit wahren Aussagen meinen wir ein Urteil, in der Beurteilung zwischen wahr und falsch.
Ein Urteil ist nur möglich, wenn wir unterscheiden können.
Das Wahre ist der Name für Alles, wenn kein Unterschied mehr besteht.
Das Falsche ist ein Name für Nichts, wenn kein Unterschied feststellbar ist.

Es macht aber nun einen Unterschied, ob wir existieren oder nicht existieren.  Wer ernsthaft bezweifeln will, dass „Wir sind.“ kann getrost aus dem Diskurs aussteigen, denn er gehört ja dann nicht zur Menschheit. Wir können getrost für uns feststellen, dass wir sind und dass wir diese Wahrheit akzeptieren. Unsere Aussagen sind für uns wahr und nicht beliebig. Die Beliebigkeit liegt höchstens in den Einzelaussagen einzelner Mitglieder des Wir.

Die Wahrheit ist eine Aussage.
Die Lüge ist eine Falschaussage.
Der Irrtum ist eine falsche Aussage.

Was auch festgestellt werden kann, wird auch festgestellt. Wir können letztlich gar nicht schweigen. Der Unterschied zwischen Sokrates und uns liegt doch nur darin, dass wir in der Tradition mehr Argumente haben, in dem Ringen darum, was wir als wahr erachten, hat sich nichts geändert. Wenn wir das aber nicht Leuten wie jenem Amerikaner  mit seiner Rakete vermitteln können, der mit einer Rakete beweisen will, dass die Erde flach ist, dann sind wir nur eine bewußtlose Funktion der Evolution, die ihren Untergang letztlich verdient hat.