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Eine eitrige Beule oder Nazis sind auch nur Menschen

Am Sonntag werden Wahlen sein. Trotz Kattaschas hervorragender Aufklärungsarbeit (http://kattascha.de/?p=1923) denke ich nicht, dass die AfD schlecht abschneiden wird. Es bricht eine eitrige Beule auf, die seit 70 Jahren existiert. Ich denke nicht, das rationale Argumente dieses Phänomen bekämpfen können, da das Problem weit weit tiefer sitzt, als wir alle wirklich erahnen können. Ja es ist Zeit zu kämpfen, wie Marina schreibt (http://marinaslied.de/zeit-zu-kaempfen/) „Erschrocken zuzusehen, wie das Böse sie einseitig führt und am Ende für sich entscheidet, ist keine zulässige Option.“

Aber begreifen wir überhaupt, was hier statt findet und was hier aufbricht? Es ist nämlich sehr sehr schwierig diese Debatte zu führen, da unterschwellig diese Gesellschaft von der Vergangenheit durchaus dominiert wird. Den guten Deutschen, den wir die letzten 70 Jahre erleben durften, hat sein Gutsein aus einem unverarbeiteten Trauma heraus. Ich war und bin ein Skeptiker gegenüber jenen Deutschen, die sich in jüdischer Kulturpflege austobten und zwar nicht, weil ich die Beschäftigung mit jüdischem Gesang oder jüdischen Tänzen schlecht fände, sondern weil ich es auch in einem Umfeld erlebte, bei deren Väter und Großväter in der SS oder in nationalen Burschenschaften waren. Das ist so wie meine Großmutter sagte, dass ihre Nachbarn auch Juden waren.  Die Liebe zum Jüdischen wurde wie ein Schutzschild voran getragen, als ob es schützen könnte vor dem, was Urgroßeltern und Großeltern den Juden angetan haben.

Mein Großvater verstarb an der Ostfront im Krieg und meine Großmutter starb, als ich 16 war und ich konnte mit Ihr niemals das Gespräch führen, das notwendig gewesen wäre und auch mit meiner Großmutter mütterlicherseits habe ich ein Gespräch nicht führen können, welches letztlich als Enkel notwendig gewesen wäre. Ebenso ist mein Vater zu sehr traumatisiert gewesen und gleichzeitig als Wirtschaftswunderbeteiligter nicht fähig gewesen vor seinem Tod darüber zu sprechen. Alleine seine Aussage, dass mein Großvater nur bei der SS war, weil er ein Pferdenarr war, sagt schon die gesamte Schutzreaktion aus, die bei diesen Lebensgebäuden bestanden.

Und hiermit kommen wir zu dem Punkt, ich mag Menschen, auch Menschen wie meinen angeheirateten Onkel, der Mathematiklehrer ist, aber er ist für mich ein Nazi und er würde es sich verbeten, dass ich ihn so nenne und aufgrund des Familienfriedens werde ich es nicht schaffen ihm das in das Gesicht zu sagen. Ich habe schon mit zu vielen Menschen in meiner Familie gebrochen deswegen. Ich bin nämlich das schwarze Schaf dieser Familie, die alle keine Nazis sind, wie sie selbst von sich denken. Ich kann mir auch vorstellen, dass meine Schwester eine der wenigen Frauen ist, die AfD wählen, aber auch hier wird darüber nicht gesprochen. Insofern bin ich über die Dunkelziffern bei den Umfragen nicht sicher, ob es stimmt das Frauen keine AfD wählen.

Es war schon als mein Vater für die FDP für den Landtag kandidierte so, dass meine Schwester sich darüber ausschwieg, wen sie wählt und ich bin mir sicher, dass sie damals CSU wählte, aber offiziell natürlich nach aussen, war sie für die Familie FDP-fan. Frauen können das, A sagen und B tun. Der Nationalsozialissmus bestand nicht nur aus den mordenden Männern, sondern eben auch aus den dahinter stehenden Frauen und diese Frauen haben in größerer Zahl überlebt und die nächste Generation aufgezogen.

Mütter wie meine Großmutter, deren Nachbarn auch Juden waren, die aber nach dem Krieg keine Arbeitsgenehmigung bekam, weil sie eben Nazi war und über ihren Anteil daran niemals gesprochen hat. Die Männerbekanntschaften meiner Großmutter mütterlicherseits, die als Juristin und Alkoholikerin Richterin wurde, sind auch so eine Geschichte, die letztlich nicht zur Sprache kam und kommt. Es sind tiefe familiäre Verwundungen, die in den 1950er und 1960er Jahren nicht zur Sprache kommen konnten, denn es musste ja irgendwie weiter gehen. Ich kann nur vermuten, dass die Anforderung an meine Großmutter (sie war Klavierlehrerin) von ihrem Enkel, das er auch mal Bluez und Jazz lernen wollte, alleine deswegen nachgegeben wurde, weil die amerikanische Negermusik jetzt die gute Seite der Medaille war und das verfechten der „deutschen Musik“ jetzt nicht mehr politisch korrekt war. Erst Jahrzehnte später habe ich begriffen, warum der Unterricht darin so schlecht war, denn irgendwo unter dieser Oberfläche meiner Großmutter war eben noch die alte Nationalsozialistin. Auch ihre Kinder haben da antisemitische Sprüche drauf, bei dem es mir zum Kotzen ist. Jedoch wenn man anfängt darüber nachzudenken, dann gerät das Leben ins Stolpern und Überleben ist auch ein Antrieb.

Ob nun das Haus bezahlt werden muss oder der nächste Kunde erobert werden muss, all das müssen Nazis auch bewältigen und dabei dürfen sie nicht zu sehr darüber nachdenken, was zu ihren Überzeugungen geführt hat, denn sonst würde Ihr leben nicht mehr funktionieren. Leute mit den falschen Fragen werden aus dem sozialen Umfeld ausgegrenzt, denn das eigene Lebensmodell würde mit den falschen Fragen zusammenbrechen.

Es gibt eine nationalsozialistische Welt in Deutschland, die wie eine eitrige Beule, unter der Oberfläche die ganze Zeit existierte. Die AfD ist nur der Eiter, der hervorbricht.

Rational und mit Argumenten wird man diesen Leuten nicht beikommen können. Sie sind liebende Großmütter, Großväter, Väter,Mütter, Brüder und Schwestern und leben mitten unter uns und sie werden AfD wählen, weil sie Nazis sind und unsere Gesellschaft mit der AfD und Henkel eine gesellschaftliche Akzeptanz der Wählbarkeit geschaffen hat. Und jetzt werden sie möglicherweise auch NPD wählen, weil die Nazis zurückkommen, weil sie ihre Menschenverachtung nicht abgelegt haben. Sie schlummerte nur. Ich denke nicht das Marina und Kattascha das verstehen können.